Innere Bilder und Kreative Imagination
in der Kontemplativen Atemarbeit nach C. Veening
Über einen heilsamen Umgang mit Schmerz und Not
Bettina von Waldthausen
Eine der Wirkungen der Veening-Atemarbeit ist die Balancierung des autonomen Nervensystems und eine damit einhergehende Tiefenbelebung der Psyche, die die meisten Menschen als wohltuend erleben, als ein “wieder- in -sich- selbst-ankommen”. Bisweilen können sich im Klienten aber auch Gefühle, alte Bilder und Erinnerungen einstellen, die erst einmal schmerzlich sind. Welche Möglichkeiten hat die “Kontemplative Atemtherapie” um mit diesen Erinnerungen, Bildern und Gefühlen heilsam umzugehen und sie zu integrieren?
Sich in die eigenen Bedingungen stellen
Jede Atembehandlung beginnt mit dem Erden und Zentrieren der leib-seelischen Kräfte, um für den Klienten ein sicheres Fundament zu schaffen, dem er vertrauen kann. Er erlebt seinen Körper als schützenden Raum und den natürliche Fluss des Atem als inneren Begleiter. Mit der Zeit wächst in ihm mit der neuen Wahrnehmung seiner leib-seelischen Natur auch eine neue Einsicht und ein neuer Umgang mit seiner augenblicklichen Situation und seinem inneren – oder äußeren – Notstand. Er beginnt ihn – und sich – anzunehmen, so wie er ist. Denn ” es gibt nichts sinnvolleres, als jeden Augenblick so, wie er sich entfaltet, anzunehmen, ihn in seiner ganzen Fülle, mit all seinen innewohnenden Möglichkeiten genau zu betrachten und sogleich wieder loszulassen.” (Kabat-Zinn 2007)
Wandlung
Das Loslassen wird aber nur möglich mit einem Bewusstsein für das große Ganze und im Vertrauen darauf, dass Atem und Bewusstsein eng zusammen wirken und Integrationskraft für Körper und Seele besitzen. Indem Klient und Therapeut gemeinsam das Material aus den tiefen Schichten des Unbewussten heben und behutsam ins Bewusstsein einlassen, es dort betrachten und wirken lassen ohne es gleich zu bewerten, kann es in einem zweiten Schritt der wandelnden Kraft des Atem übergeben werden. In einem weiteren Schritt kann der Klient es dann “ziehen lassen”, so wie eine Wolke, die sich im tiefen Blau des Himmels langsam verändert und auflöst. Denn gerade das, was sich aus der Tiefe melden will, läßt sich mit Hilfe einer achtsamen und bewussten Wahrnehmung wandeln und verändern. Um Wandlung einzuleiten, bedarf es jedoch einer Neubelichtung und Neugestaltung” des in der Tiefe erlebten” in Worten und in einer Sprache, die nicht interpretiert oder analysiert, sondern ganz dicht am Erleben bleibt. So lassen sich im Leibgedächtnis neue Bahnen bilden und die Zellen können die neue “Verlebendigung ” aufnehmen, und Körper – Psyche – Geist können wieder zusammen-schwingen, wie es ihrer eigentlichen Natur entspricht. Dabei überrascht immer wieder die Erkenntnis, wie eng die Bewegung des Atemflusses mit dem gesprochenen Wort zusammen geht, und wie sehr das von innen gefundene Wort Körper und Seele befreit und auf beide wirkt. Damit treten wir auch über Sprache in Beziehung zum Atem, und das Wort wird zum Mitgestalter der unmittelbaren Realität seiner Schwingung.
Atem und Bilder
Wie das ausgesprochene Wort, so haben auch Bilder eine unmittelbare Beziehung und Wirkung auf den Fluss des inneren Atems. Je tiefer aus der Seele das Bild kommt, je tiefer es mit dem inneren Prozess des Menschen in Beziehung steht und von seiner schöpferischen Gestaltungskraft belebt ist, umso heilender und wirksamer ist der Einfluss auf Atem und Atemraum. Umgekehrt verlieren Bilder an Kraft und Bedeutung für die innere Arbeit, wo sie aufgesetzt, beschönigend oder unaufrichtig sind.
Wir können zwei Arten von Bildkräften unterscheiden, nämlich 1. spontan auftauchenden Bilder, die ähnlich den Traumbildern durch die innere Atemberührung aus den Schichten des persönlichen und kollektiven Unbewussten aufsteigen können. Und 2. die Bilder der kreativen Imaginationen, wie wir sie aus den Imaginationsübungen der Psychosynthese (Assagioli) oder der Traumatherapie (Reddemann) kennen. Im Gegensatz zu den Spontanbildern werden sie bewusst gestaltet. Sie haben einen stabilisierenden Charakter und werden in der Therapie als Intervention eingesetzt, beispielsweise als Des-Identifikationsübung bei starker emotionaler Ladung oder zur Verstärkung von Ressourcen oder als Gegengewicht zu Schreckensbildern (Reddemann 2006) . Sie haben meist ein Rahmenthema als Aufgabe wie “einen sicheren Ort finden” oder “einen Berg besteigen, eine Übersicht gewinnen” oder “eine Bühne betreten”. Das Thema dient als eine Art Geländer, ohne die eigene Kreativität jedoch einzuschränken. Sehr oft finden wir auch Mischformen aus 1. und 2.
In der Kontemplativen Atemtherapie werden Bildern und Imaginationen bewusst nicht gedeutet, außer es wird vom Klienten gewünscht, und dann sollte die Deutung vom Klienten selbst ausgehen. Dazu Jolande Jacobi (1969) : Denn … “nicht selten vermittelt das Bild selber eine Erklärung und Deutung… es wirkt weiter auf den natürlichen Wachstumsprozess der Seele wie ein Ferment, dessen Wirkung man mit einem Eingriff nur stören würde.” Aber auch aus einem anderen Grund erscheint eine Deutung hier nicht zwingend. Denn die enge Anbindung und Rückkopplung von Atemfluss und Körperempfindung zum Bild schafft per se im Klienten einen Realitätsbezug und verbindet Bild und Körperwahrnehmung. Es bleibt also nicht frei schwebend im Ungefähren. Wichtig ist an dieser Stelle, genügend freien Raum zu geben, um das Wahrgenommene in der Stille wirken zu lassen. Das beobachtende Ich tritt dabei in eine Wechselbeziehung mit Bildempfindung und Atemwahrnehmung. Es muss also Abstand nehmen und sich ins Gegenüber stellen. In diesem Zusammenhang kann man dann fragen: Was empfindet der Klient? Hat er einen Einfall oder gibt es einen Bezug zur aktuellen Situation oder zu seiner Biografie? Und was sagt der Atem? Läßt sich für das Bild ein Platz im Körper finden, zur “Verortung” ? Wie ist es, wenn Atem und Bild zusammengehen? Lässt sich das Bild und die damit verbundenen Gefühle “beatmen”?
Bilder und Imaginationen sind Energieträger der Psyche. Diese Energien werden freigesetzt, wenn sie ins Bewusstsein gehoben werden, und sie können entsprechend ihres Inhalts heilend oder zerstörend wirken. Daher ist ein sorgfältiger Umgang mit diesen Kräften und ein waches Ich nötig, das die Fähigkeit zur Unterscheidung hat und zugleich eine zugewandte Haltung, die Raum zum Atmen gibt. Dann ist die freigesetzte Energie der Psyche gut aufgehoben und kann mit dem Fluss des Inneren Atems bis in die Tiefe jeder einzelnen Zelle strömen. Jede Form der Imagination ist hilfreich, um alte Schmerzbilder zu entkräften und neue Bilder zu erschaffen, jedoch stets in tiefer Verbundenheit und Rückkoppelung zum Atemgeschehen im Körper und in Achtung vor der Ganzheit von Leib und Seele.
So lassen sich in der Welt der spontanen Bilder und Imaginationen für uns oft neue Möglichkeiten und unerwartete Hilfe finden, um eine Thematik zu verändern oder Wunden zu schliessen. Die Rückmeldung unseres Atemflusses und unserer Körperempfindungen ist uns hier stets eine verlässliche Erfahrung und der Atem wird dabei zu unserm aufrichtigsten Zeugen. Denn jede Bewegung unserer Seele und unseres Körpers und unseres Geistes wird von ihm aufgenommen und fliesst ein in seine Bewegung, seinen Rhythmus und sein Wirken. Der amerikanische Therapeut Tom Yeomans (Global Spiritual Psychology) sagt: “In einem solchen Moment ist die Kraft der Seele vollkommen mit der Erde verbunden. Das wird von uns manchmal als ‘himmlischer Augenblick’ bezeichnet. und wir alle kennen das. Die Herausforderung besteht darin, so zu leben und zu arbeiten, dass diese Augenblicke dauerhaft und nährender in unserm Körper und in unserm Leben werden, in jedem Moment und über Zeit und Raum hinaus.” ( Yeomans, 2008) Wir müssen nur hinhören und unsere innere Wahrnehmung dafür ausbilden.
Überarbeitung (2011) des Artikels aus Heft Nr. 21 / 2009 der Psychosynthese- Zeitschrift. Navo-Verlag, Rümlang (CH).
Literaturverzeichnis
Assagioli, Roberto: “Handbuch der Psychosynthese”, Rümlang (CH) 2004. Jacobi, Jolande: “Vom Bilderreich der Seele”, Olten 1969. Kabat-Zinn, John: “Gesund durch Meditation”, Frankfurt 2007. Yeomans, Tom: “Schönheit wird die Erde retten”, Psychosynthese-Zeitschrift Ausgabe Nr. 19, Rümlang (CH) 2008