Zum Kontemplativen Aspekt in der Veeningarbeit

Zum Kontemplativen Aspekt in der Veeningarbeit

Methode und Entwicklung

Bettina von Waldthausen

Atemarbeit nach Cornelis Veening ist ein schöpferischer Atem – und Entwicklungsprozess, der sich analog zu dem jeweiligen Lebenshintergrund und zu dem jeweiligen Lebensthema eines Menschen ausformt. Der Mensch, der sich dem Inneren Atem öffnet und sich darin erfährt, wird sich neu einordnen in das Kräftefeld zwischen Leib und Seele. Die Folge ist eine veränderte Beziehung zu den Qualitäten, die wir als Ich und Selbst kennen. Atemarbeit in diesem Sinne ist daher vor allem ein persönlicher Erkenntnis- und Entwicklungsweg.

„Diese Arbeit enthält eine Fülle von Möglichkeiten, fast so viele, wie es Menschen gibt. Daher kann nicht gut von einer Methode gesprochen werden.“ (Erinnerungen an C.V. S.16)

Dieser Satz von Veening wird immer wieder zitiert, und entsprechend vielfältig wird die Arbeit heute von seinen Schülern und Schülerinnen weiter gegeben. Unterschiedliche Prägungen sind in den Ausbildungs-Lehrwerkstätten und Lehrpraxen entstanden. Zusammen ergeben sie ein Bild, das sich miteinander ergänzt und manchmal durchdringt. Als einen „kontemplativen Übungsweg“ bezeichnete Irmgard Lauscher-Koch, die Leiterin der 1986 in Köln gegründeten Veening-Lehrwerkstatt, damals ihre Atemarbeit[1]. Für die Münchner Lehrwerkstatt, die ich nach Irmgard Lauscher-Kochs Tod von ihr übernommen habe und seit 2009 leite, habe ich diesen Begriff übernommen und das Spektrum der kontemplativen Atemarbeit durch die Verbindung zur transpersonalen Psychologie von Roberto Assagioli[2], dem Begründer der Psychosynthese, erweitert.

Innerer Atem

Der innere Atem ist Vermittler zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Seele und Körper, zwischen den Polaritäten von Oben und Unten, Innen und Außen. Grundlage der Erfahrung und der eigenen Forschung ist die Wahrnehmung des Atemaufbaus im Kreislauf des Inneren Atem, der sich durch die Vereinigung von Gegensätzen und Polaritäten als harmonisches, kohärentes Schwingungsfeld im Leib entfaltet. Der Atemaufbau entspricht der inneren Ordnung des Leibes. Er steht in enger Anbindung zur aufrichtenden Kraft der Wirbelsäule und ihren leib-seelischen Entsprechungen, die wir in den Atemräumen, Organen und im endokrinen Drüsensystem finden. Die Grundhaltung des Übens im Inneren Atemkreislauf ist eine kontemplative, betrachtende Aufmerksamkeit, durch die der Denkprozess zur Ruhe kommt und die Atemfrequenz sich verlangsamt. „Betrachtet“ wird der Atem selbst, der zwischen Tiefenbewusstsein und Bewusstsein schwingt in ständig wechselnden Modulationen, vergleichbar dem musikalischen Schwingungsbild einer Bach-Fuge. Atem, Seelenstoff und Bewusstsein gestalten sich aneinander und miteinander. Das Verbindende entsteht durch die versammelte Ausrichtung auf den Atemprozess, der sich ständig verändert.

Der Innere Atem durchdringt alle Organe und alle Räume und wirkt  ausgleichend auf den Gesamtorganismus im Sinne eines Gleichgewichts der Kräfte (Homöostase). Aus der Vereinigung von Psyche und Soma  und einer damit einhergehenden  Bewusstwerdung für Seeelenraum und Körperraum formt sich die Regeneration der körperlich-seelisch-geistigen Kräfte . Der Mensch ruht dann in seinem Atem.

Achtsamkeit und Bewusstsein

Durch innere Sammlung kann die Aufmerksamkeit dem Atemfluss im Körper folgen und dort , wo wir versammelt sind, zeigt sich der Atem im ständigen Wechselspiel der Kräfte. Wenn sich Wahrnehmung und Atem aneinander vertiefen, verlangsamt sich das aktive Denken im Gehirn, es wandelt sich in ein inneres Schauen. In dieser Innenschau  können  Bilder, Erkenntnisse und Gedankenbewegungen aus der Tiefenschicht der Seele aufleuchten, die vom Bewusstsein aufgenommen und später geklärt werden – im Sinn einer Neuorientierung. So kann aus der vertieften Achtsamkeit die Erfahrung von Einssein auftauchen etwa wie … „das Ich ruht im Selbst“. In diesem stillen So-Sein können Informationen in das Bewusstsein „einfallen“, die aus einem umfassenderen Feld zu kommen scheinen als es der persönlichen Ich-Erfahrung möglich ist. Dieses Feld wird auch als das „transpersonale Feld“ bezeichnet oder als die Ebene des Großen Selbst (Roberto Assagioli). Darin wird das Herz zum Wahrnehmungsorgan eines neuen ganzheitlichen Denkens. (Herzdenken, Herzfühlen.) Ein neues Zentrum entsteht.

Kontemplativen Atemarbeit und  Psychosynthese

Wie C.G. Jung geht Roberto Assagioli , der Begründer der Psychosynthese, in seinem Konzept der Psyche von einem dreidimensionalen Menschenbild aus, in dem Körper-Seele-Geist eine lebendige Einheit bilden, die sich gegenseitig beeinflusst und durchdringt. In der personalen Psychosynthese werden zunächst die unbewussten Anteile der Psyche mit Hilfe der Teilpersönlichkeitsarbeit erforscht und bewusst gemacht (Schatten -und Ressourcenarbeit) und  mit dem Ich-Zentrum verbunden. Aus dem Gegeneinander von unbewussten und bewussten persönlichen Kräften wird so allmählich ein Miteinander, eine Synthese mit einer stabilen Mitte. Diese Mitte nennt Assagoli das bewusste oder das persönliche Ich. Die  Funktion des Willens als Notwendigkeit für ein selbstverantwortliches Handeln und zur Umsetzung von Entscheidungen steht hier als ergänzende Funktion den Qualitäten von Liebe gegenüber.  Liebe und (spiritueller) Wille sind in der Psychosynthese keine unvereinbaren Gegensätze, sie gehören zusammen, denn das eine braucht das andere. Ein stabiles Ich und ein Wissen um den eigenen Schatten ist die Voraussetzung für die transpersonale Psychosynthese. Sie bezieht die Weisheit und Intuition des Selbst, der Seele, als die Widerspiegelung eines umfassenden höheren – und tieferen – Bewusstseins mit ein. Basis, Herz und Kopf finden nun zusammen. Dieses Selbst, die Seele, als eine Realität anzuerkennen und sie im Menschen zum  Ausgangspunkt für ein verleiblichtes, beziehungsfähiges und reifes Handeln, Denken  und Fühlen zu entwickeln, war das Hauptanliegen von Roberto Assagioli.

Der Innere Beobachter

Die Schulung des inneren Beobachters ist ein wertvolles Werkzeug der Psychosynthese und der kontemplativen Atemarbeit. Aus dieser Perspektive lässt sich in positiver Weise ein Abstand gewinnen im Umgang mit Gefühlen, Stress und Emotionen Ähnlich wie in der MBSR[3] (Mindfulness Based Stress Meditation) werden diese beobachtend wahrgenommen und mit dem Atem begleitet und durchgelassen. Schmerz, Trauer, Wut, Bewegtheit  können aber auch  ausgedrückt werden und danach gemeinsam  gehalten werden, bis sie sich lösen – und der Atem wieder spürbar fließt.  Nicht selten setzt der Erkenntnisprozess dann von alleine ein und frühzeitige Deutung würde ihn verhindern. So führt Atemarbeit zu einer Stärkung und Erneuerung der persönlichen Selbstwahrnehmung und damit auch zu einer veränderten Ich-Du Beziehung innerhalb des sozialen und kulturellen Beziehungsfeldes. Biographische Ereignisse werden miteinbezogen, wenn sie zur Veränderung von Beziehungsmustern notwendig erscheinen oder um die Dynamik von Lebensrhythmen aufzuzeigen, – oder einfach dann, wenn ein Ereignis spontan aus dem Unbewussten auftaucht. Wichtige Eckpunkte von Biographie und – Beziehungsarbeit sind die Elternbilder und das innere Kind. Letzterem begegnen wir in unterschiedlicher Gestalt immer wieder auf den verschiedenen biografischen Entwicklungsstufen und an ganz verschiedenen Orten im Körper – oder im Traum, wo es uns wertvolle Hinweise geben kann.

Krankheit und Störung

Nicht das Symptom, die Diagnose, sonder das Bild des Heilen in jedem Menschen steht im Mittelpunkt der Veening-Lehre. (Vortrag für Heilpraktiker, aus “Erinnerungen an C.V.”) Es geht nicht nur darum, Störungen zu beheben, sondern eine Transformation des Fühlen und Denken einzuleiten und in Richtung Ganzheit und Verbundensein zu verändern. So wird Krankheit  zum Anlass genommen, an der Inneren Entwicklung zu arbeiten und an der Entdeckung neuer Ressourcen. Wie kann ich der Krankheit begegnen, was will sie mir sagen, das ist hier die entscheidende Frage. Über das gemeinsame Gespräch und  über die spürfähige Wahrnehmung seiner Hände  in der Atembehandlung (psychometrisches Verfahren ) versucht der Veening-Therapeut zu Beginn einer Arbeit zunächst, den Menschen in seiner momentanen Individualität zu erfassen und ein Innenbild von ihm zu bekommen. Im Innenbild stößt man dann oft an eine ganz andere Schicht des Menschen  und an den eigentlichen Anlass seines Kommens. Nämlich dort, wo dieser Mensch sich vielleicht nicht zeigen kann und wo er erkannt werden will. Hier wird dann klar: Wo braucht dieser Mensch Unterstützung, was will sich lösen, welches Thema will sich zeigen? Die Aufgabe ist dann, gemeinsam herauszufinden, wie der Mensch trotz Krankheit oder psychischem Leid zu einem heilsamen Kontakt mit sich selbst kommt, wo die Seele in ihm schwingt und wie sein Körper damit wieder in Beziehung treten kann. Die Kontemplative Atemarbeit arbeitet weder konflikt-aufdeckend noch prozesshaft. Kern ist das Erleben und Gewahrsein aus dem Moment und seine Akzeptanz durch das Bewusstsein. Die Klientenbeziehung ist gekennzeichnet von einer Beziehung der Achtsamkeit auf gleicher Augenhöhe, um die eigene Autonomie von Anfang an zu ermutigen und zu stärken.

Zusammenfassung

Atembeobachtung Den Atem mit achtsamer Wahrnehmung begleiten, mit den Sinnen ertasten. Geschehen lassen aus der Tiefe. Die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten, verlangsamt die Gedanken. In der Ruhe ändert sich die Perspektive und das Innenbild kann sich zeigen. Umgang mit Schmerz Impulse, Gedankenbewegungen oder Schmerz die ins Bewusstsein treten, werden wahrgenommen und akzeptiert als Teil der augenblicklichen Erfahrung. Unter den Schmerz tauchen und ihn im Fluss des Atems verändern. Mit dem Aus-Atem das Alte loslassen. Der Ein-Atem schenkt neue Kraft. Sich mit der Ganzheit identifizieren und nicht mit dem Teilaspekt wie Rücken, Angst, Herzstolpern. Vom Ort der Ruhe, der inneren Mitte aus der Anforderung begegnen. Spannungen können sich auflösen. Der Geist stabilisiert sich. Ein Tun ohne Erwartung anstatt die Symptome in den Mittelpunkt allen Tuns zu stellen. In einer Haltung des offenen Gewahrseins läßt sich eine neue Grundhaltung finden, eine neue Lebenspraxis. Wozu Atemarbeit? Tägliches Üben – im Alltäglichen. Sich des Atemflusses bewusst werden und ihn immer wieder neu anregen, als Dienst am Leben und an der spirituell-körperlichen Entwicklung. Das Ziel ist der Mensch im Menschen. Die Unterstützung eines inneren Reifungsprozess zu dem, der wir wirklich sind. Die Jungsche Psychologie nennt es die Individuation, Maslow die Selbstverwirklichung und die Psychosynthese die Integration von Ich und Selbst. Das Ziel der Psychosynthese ist es, dieses Selbst zu verwirklichen, sagt Roberto Assagioli dazu.

[1] Irmgard Lauscher Koch. Gewahrseinspraxis und Lehre, ein kontemplativer Übungsweg. Köln 2008 [2] Roberto Assagioli(1888 -1971), italienischer Arzt, Psychiater und Psychotherapeut. Assagioli war zunächst Schüler von S. Freud, wandte sich dann ähnlich wie C.G. Jung von der Psychoanalyse ab und entwickelte ein eigenes Modell der Psyche. Assagioli gilt heute zusammen mit Maslow als Pionier der transpersonalen Psychologie. [3] Handbuch der Psychosynthese. Navo Verlag [4] Jon Kabat Zinn. Gesund durch Meditation. TB Knaur Verlag 2011

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